Wer macht den ersten Schritt?

Das Pferd oder der Mensch?

Angeregt zu dieser Fragestellung wurde ich von Michael Geitner, den ich vor kurzem auf einem sehr interessanten Kurs in der Nähe von Hamburg kennengelernt habe.

Er sagte zu seinen Teilnehmern, dass das Pferd doch bitte immer den ersten Schritt machen soll, wenn es an der Hand geführt wird. Der Mensch bewegt das Pferd und nicht umgekehrt. Da bin ich grundsätzlich bei ihm. Doch muss der erste Schritt wirklich immer vom Pferd ausgehen?

 

Jein! Wenn der Mensch neben, vor oder hinter dem Pferd geht, finde ich es richtig, das Pferd den ersten Schritt machen zu lassen. Ich rege es dazu an durch ein Schnalzen, vielleicht durch ein "Komm"- oder "Los"-Signal und/oder durch einen leichten Zug auf das Halfter bzw. Zaumzeug. Ich treibe das Pferd sozusagen in die Bewegung bwz. gebe ihm die Möglichkeit, meinem sanften Druck auszuweichen. Ich verhalte mich ähnlich wie ein Pferd, das ein anderes Pferd den ersten Schritt machen lässt, beispielsweise durch Anlegen der Ohren oder durch Veränderung seiner Kopfhaltung. Das selbstbewusstere Pferd bewegt das andere.

 

Auch beim Rückwärtsgehen lasse ich das Pferd immer den ersten Schritt machen. Im Laufe der Bewegung kann ich ihm ein Stück folgen - denn irgendwann ist vielleicht auch das Seil am Ende - aber ich achte darauf, dass mein Abstand zu ihm immer der gleiche ist, wie zum Start der ersten Bewegung.

 

Pferde in der freien Bewegung

 

Beobachte ich Pferde in der Herde, sehe ich häufig Situationen, in denen ein Pferd auf ein anderes zugeht, um es "zum Platz machen" zu bewegen. Die ersten Schritte werden also von dem treibenden Pferd gemacht. Das andere weicht mehr oder weniger engagiert aus. Dieses Verhalten mache ich mir als Mensch zunutze, wenn ich auch ein Pferd von seinem Platz wegdrängen und es in Bewegung setzen möchte.

 

Meiner Meinung nach gibt es mehrere Situationen, bei denen ich den ersten Schritt machen darf: Zum Beispiel immer dann, wenn ich einem Pferd eine bestimmte Bewegung vormachen möchte, der es dann folgt.

 

Gerade in der Freiarbeit nehme ich das "Vormachen" gerne mal als Hilfsmittel, um einem Pferd eine Idee zu geben, wie seine Bewegung aussehen darf/kann.

So adaptiert es zum Beispiel einen Seitengang bzw. eine seitliche Bewegung, den/die ich durch das Kreuzen meiner Beine im Schritt anzeige. Oder es streckt das Bein für den Ansatz eines spanischen Schrittes weit nach vorne, weil ich es kurz vorher genauso gemacht habe.

 

In der Praxis hat es sich auch schon oft bei ängstlichen oder vorsichtigen Pferden bewährt, dass ich beim Betreten einer "unheimlichen" Oberfläche (z. B. Hängerklappe, Pfütze, Zirkuspodest) vorweg gehe. Ich zeige damit an, dass nichts Schlimmes zu befürchten ist. Wenn ich als Mensch da unbeschadet drüber oder rein treten kann, dann schafft mein Pferd das bestimmt auch :-) Das Pferd folgt mir also. Das setzt natürlich voraus, dass das Pferd dem Menschen eine grundsätzliche Kompetenz an Führung eingesteht. Die ist allerdings nicht selbstverständlich. Und da stehen wir wieder am Anfang der Überlegung:

Ja, es macht schon Sinn, das Pferd den ersten Schritt machen zu lassen - aber eben nicht immer :-)

 

Fest steht: Der, der das Pferd bewegt, ist in der Regel der selbstbewusstere und stärkere Part, dem man sich als Pferd anschließen und vertrauen möchte.