Als Kind habe ich mir immer gewünscht, dass Pferde mit mir sprechen können. Der Wunsch ist so groß gewesen, dass ich bis heute Bücher lese, Videos anschaue, auf der Weide oder am Reitplatz sitze, um Pferdeverhalten zu verstehen und dieses in meine Sprache zu übersetzen.
Je mehr ich dazulerne und je "lauter" Pferde mit mir kommunizieren, desto spannender wird es. Aber bin ich bereit, seinen "Worten" und Wünschen auch Taten folgen zu
lassen?
Hast du Lust zu reiten?
Dieser Sommer hat uns bisher nicht ganz so viele heiße Sommertage beschert, aber der September legt jetzt nochmal nach. Heiße Sommertage gestalte ich mit meinem fast 22-jährigen Herzenspferd Gaston damit, dass wir vor allem Wellness betreiben: Grasen gehen, im Schatten massieren, wenn gewünscht mit Wasser ein bisschen abkühlen, vielleicht ein paar gemütliche Schritte im Wald gehen.
Gestern nachmittag war es nicht heiß, aber recht warm bei 25 Grad. Es war dabei aber so schön windig, dass ich dachte, heute kann ich Gaston mal reiten.
Ich putzte ihn, holte den Sattel und stand damit vor ihm an der Box. Ich fragte: "Und, hättest du Lust auf einen kleinen Ritt - du darfst auch das Tempo bestimmen und wohin es geht..." Gaston guckte sich kurz den Sattel an, nahm den Kopf wieder herunter und knabberte an seinem Heu.
Ich stand etwa eine halbe Minute vor der Box und wartete, ob er sich ganz abwenden würde, dann hätte ich den Sattel wieder zurückgebracht. Das tat er aber nicht.
Also legte ich den Sattel auf und hielt meinem Wallach die Trense hin. Er steckte den Kopf rein und öffnete sanft das Maul. Ich führte ihn aus dem Stall.
Wohin reiten wir denn?
Kaum waren wir draußen, zog mich mein bester Kumpel in Richtung Springplatz, wo wir die letzten Tage ganz nette Stunden beim Grasen verbracht hatten. Ich ließ es erstmal zu, um zu gucken, welche Idee dahinter steckt. Immerhin habe ich ihm ja gerade noch gesagt, er darf ansagen, wohin es geht. Kaum am Springplatz angekommen, steckte er natürlich die Nase ins Grün. Okay, Grasen ist cool, "aber wir gehen nochmal zum Grasen NACH dem Reiten", sagte ich zu ihm. Ob ich viel mit meinem Pferd spreche? Jaaa, seeehr viel :-)
Dann ging es also zur Aufstiegshilfe vor unserem Dressurviereck. Im Sattel angekommen und das obligatorische "Münzautomaten-Leckerli" eingeworfen, wartete ich, wohin Gaston jetzt gehen wollte. Er hatte ja die freie Wahl - Platz oder Gelände? Er trottete los, die Zügel hingen durch und er ging in Richtung Gelände. Ich freute mich darüber sehr. Doch statt links in Richtung Wald abzubiegen, ging er rechts und blieb mit mir vor der Stalltür stehen. So, und nun meine Frage an euch: Wäret ihr abgestiegen und seinem Wunsch nachkommen oder hättet ihr die Zügel aufgenommen und ihn in Richtung Gelände getrieben???
Ich bin abgestiegen.
Mit so klaren Worten von ihm hatte ich nicht gerechnet. Ich nahm den Sattel ab, führte ihn in die Box und ließ ihn fressen. Danach durfte er auf dem Springplatz noch eine halbe Stunde grasen - hatte ich ja versprochen.
Wer seinem Pferd zuhört, wird belohnt
Aber ich bin jetzt auch mal ganz ehrlich: Nicht jeden Tag gelingt es mir, zuzuhören. Manchmal ziehe ich dann doch "meinen Stiefel durch". Was sehr schade ist. Denn noch am gleichen Abend hat mich Gaston noch sehr lieb überrascht, vielleicht sogar belohnt, dass ich seinem Wunsch nachgekommen bin. Als ich ihn nochmal kurz aufs Paddock zum Wälzen führte, begann er mit mir zu spielen. Wir liefen zusammen im Trab und Galopp. Er folgte mir und genoß es, zu kuscheln. Mit einer so selbstverständlichen Leichtigkeit. Es war wunderschön...
Ich könnte noch viele weitere Geschichten dazu erzählen, aber ähnliche Erfahrungen habt ihr vielleicht auch schon gemacht. Ich kann euch nur dazu ermutigen: Nehmt die Signale eures Pferdes wahr. Hört ihm zu, räumt ihm ein Mitspracherecht ein. Wenn sich ein Pferd verstanden fühlt, kann es noch mehr Vertrauen zu euch fassen und es wird alles dafür tun, dass ihr Zwei weiterhin einfach eine gute Zeit zusammen verbringt...