Darf ich bitte auch was sagen?!

Ich möchte euch von meiner letzten Woche berichten. Ich habe versucht, meinen Pferd noch mehr Freiraum zu lassen. Um zu sehen, was passiert: Übernimmt mein Pferd den Chef-Posten, gibt es ein Miteinander oder achtet er gar nicht mehr auf mich? Ich kann euch schon mal verraten, für uns beide gab es innerhalb einer knappen Woche ganz viele "erste Male". Vielleicht probiert ihr auch mal aus, was passiert, wenn euer Pferd mehr Mitspracherecht bekommt. Ich fand die Erfahrungen in dieser Woche auf jeden Fall sehr spannend.

 

Ich habe euch bereits in meinem letzten Blog-Artikel erzählt, dass ich bei einem geplanten Ausritt von meinem Pferd etwas überrascht wurde, als ich ihm die Freiheit ließ, entscheiden zu dürfen, wohin es geht. Zur Auswahl standen Platz oder Gelände. Nach ein paar Schritten standen wir allerdings wieder vor der Stalltür. Gaston zeigte klar an: "Ich habe heute keine Lust aufs Reiten". Ich war abgestiegen und fand es ganz gut, dass er seine Meinung kundtat.

 

Dieses Erlebnis hat bei mir noch einige Momente nachgewirkt, dass ich einfach mal den Versuch starten wollte, über mehrere Tage am Stück meinem Pferd zuzuhören und mich und meine Ideen zurückzunehmen.

 

Sonntag - Ausreiten ohne große Ansagen

Wir waren diesmal zum Ausreiten verabredet. Mit Denise und ihrer jungen Stute Sherley. Gaston und sie mögen sich sehr. Ich ließ die Zügel locker. Gaston durfte bestimmen, ob er vor, hinter oder neben Sherley gehen wollte. Er wechselte die Position öfter. Das einzige das ich mit einbrachte, war es, ihn zu bitten im Schritt zu bleiben. Ob der Schritt allerdings schnell oder langsam wird, ob wir zwischendurch mal zum Gucken stehen bleiben müssen, das durfte mein Großer selbst wählen. Das Ergebnis: mein Pferd war den ganzen Weg über entspannt - selbst über eine Baustellenbrücke mit seltsamen Holzbohlen ging er ohne zu zucken drüber. Ausritte haben für ihn sonst sehr viel Aufregendes.

 

Montag - Eigentlich mag ich keine Dämmerung

Seitdem ich Gaston habe, weiß ich, dass Dunkelheit für ihn schwierig ist. Als Pferd mit einem Auge hat er mir in der Vergangenheit immer wieder angezeigt, in der Dämmerung allein auf dem Paddock oder der Wiese zu verbringen, ist sehr unangenehm. Überall lauern Gespenster. Das macht ihm Stress. So viel Stress, dass er mich auch kurz nach unserem Kennenlernen schon mal ausgeknockt hatte, als ich mit ihm völlig unbedarft in der Dämmerung grasen ging.

Ich kam am Montag nachmittags in den Stall, stellte ihn aufs Paddock, putzte ihn dort und fragte an, ob er Lust hätte, mit mir etwas zu spielen. Es wurde dabei schon langsam dunkler. Gaston durfte wieder zeigen, ob ihm mehr langsamere oder schnellere Bewegungen gefallen. Ob er auf dem Paddock bleiben oder gehen möchte. Er hatte Spaß daran, ein bisschen zu toben und konzentrierte sich sehr auf mich. Zwischendurch schaute er auch mal in die Ferne, aber sah nichts Angsteinflößendes. Nach dem gemeinsamen Spielen nahm ich ihn an die Longe und fragte ihn, ob er jetzt in der späten Dämmerung lieber in die Box möchte oder vielleicht nochmal auf die Wiese zum Grasen. Er steuerte den Weg zur Wiese an. Er vorneweg, ich hinterher. Das Gras schmeckte und Gespenster schien es an diesem Abend für ihn nirgends zu geben.

 

Dienstag - Es geht noch dunkler

Heute kam ich schon im Dunkeln zum Stall. Kaum öffnete ich die Boxentür stand Gaston schon halb auf dem Gang - nach dem Motto "Können wir bitte rausgehen?" Okay, Halfter drauf, dann mal los. Mein Pferd ging erstmal Richtung Paddock. Und dort stand er dann. Eine halbe Stunde, schaute in die Ferne. Einfach so. Ich stand neben ihm. Und guckte mit - wir sahen Pferde und Reiter mit Neondecken und Blinklichtern, Autos und Fahrräder und es war ein bisschen wie Fernsehgucken auf dem Paddock - eben im Dunkeln. Dann ging Gaston zum Tor und machte klar, weiter zu wollen. Und wohin ging es im Stockdunkeln? Auf die Wiese. Er wieder voran, ich hinterher. Ganz selbstverständlich. Grasen ohne Licht - eine Mutprobe, die wir bereits zum zweiten Mal gemeinsam machten. Ich spürte irgendwie, das mein Pferd auf sich selbst ganz schön stolz war. Und ich war es auch.

 

Mittwoch - Reiten ohne Gerte

Reiten stand wieder auf meinem persönlichen Programm, aber ob das wirklich dran war, durfte Gaston bestimmen. Ich putzte ihn und zeigte ihm den Sattel. Ja, er wollte. Das Gebiss nahm er gerne an. Also, ab in die Halle. Punkt 1: wir waren heute allein in der Halle - gefällt meinem Großen auch nicht immer. Punkt 2: Ich wollte heute keine Gerte benutzen. Man muss dazu sagen, mein Pferd wurde seit Jahren darauf konditioniert, die Gerte als Treibeimpuls wahrzunehmen. Das Treiben mit dem Schenkel hat bei Gaston früher dazu geführt, dass er häufig einfach stehen geblieben ist. Lenken mit einem Schenkel war okay, das Vorwärts damit anzuzeigen, sehr schwierig. Seitdem ich ihn habe, haben wir uns gemeinsam erarbeitet, den Schenkel auch als Vorwärtsimpuls zu verstehen. Aber die Gerte war trotzdem eigentlich immer mit dabei, auch wenn ich sie immer seltener einsetzen musste. Heute war Tag X. Ganz unverfälscht und ehrlich. Ich habe mich draufgesetzt mit der Idee, eventuell auch nur ein paar Schritte von Gaston geschenkt zu bekommen. Ich wollte einfach gucken, wie weit wir ohne Gerte kommen. Ich legte den Schenkel an und schnalzte leise. Sobald eine Bewegung nach vorwärts kam, ließ der Schenkeldruck nach. Ich wiederholte diese Vorgehensweise und versuchte wie sonst auch, den Druck immer feiner werden zu lassen. Wir hörten uns beide zu. Und was soll ich berichten? Es lief. Und Gaston lief. Und ein Tränchen über meine Wange auch.

Trab und Galopp waren noch etwas zögerlich, aber er bot die Gangarten immerhin an. Man braucht ja Ziele für die nächsten Male...

 

Donnerstag - einfach mal gemeinsam abhängen

Programmpunkt: Wellness auf dem Paddock. Gaston durfte mir anzeigen, welche Körperstellen eine besonders intensive Massage brauchten. Da gab es so einige, Rücken, Schultern, Brust...Er legte sich vor allem im Oberschenkelbereich geradezu in meine Hand. Mit viel Druck konnte ich ihm viel Gutes tun. Ich sag nur "Tapirschnute"! Bei der Halsmuskulatur durfte ich allerdings nur ganz weich agieren. Sobald es zu fest wurde, ging mein Großer zu Seite. In kreisenden Bewegungen arbeitete ich am Mähnenkamm langsam vom Kopf in Richtung Widerrist. Gaston schloss langsam die Augen. Wie schön. Nach dem Putzen und der Massage nahm ich mir einen Hocker und setzte mich direkt neben mein dösendes Pferd. Bestimmt über eine halbe Stunde. Gaston beschnupperte und beknabberte mich zwischendurch immer wieder. Ganz sanft und vorsichtig. Ich glaube, so fühlt sich innige Freundschaft an. Einfach sein, einfach wir, einfach jetzt.

 

Fazit nach diesen Tagen: Gaston hat mich in den letzten Tagen mit sehr schönen Erlebnissen beschenkt. Dafür, dass ich ihm gewisse Freiheiten gelassen habe. Er hat sein größeres Mitspracherecht nicht dazu genutzt, mir das Gefühl zu geben, dass er nun der Chef sei. Es war ein Miteinander. Er hat mir zugehört, ich ihm. Genauso möchte ich weitermachen. Freundschaftlich. Respektvoll. Auf einer Augenhöhe.