Szenen einer Beziehung: Der Ehe-Streit

Streit zwischen Mensch und Tier ist ja eher ein Tabuthema unter Pferdefreunden. Wenn mal etwas vorfällt, dann ist es nie die Schuld des Pferdes, sondern ein Kommunikations- oder Verständnisproblem des Menschen. Aber heißt das auch, dass ich in jeder Situation völlig emotionslos sein muss?

 

Ich gestehe:

Ja, ich war richtig sauer auf mein Pferd!

Ja, er hat mein Vertrauen missbraucht!

Ja, ich habe es ihm übel genommen....!

 

Es passierte an einem Sonntag, kurz vor unserem dritten Jahrestag. Ich hatte vor kurzem noch überlegt, ob ich ihm in meinem Blog einen Liebesbrief widme. Doch mein Thema für den Artikel sollte sich ändern.

Ich kam gegen späten Mittag in den Stall. Es war sehr windig draußen. So windig, dass man eigentlich weiß, dass die Pferde ein bisschen guckiger oder auch nervöser sind als sonst. In den letzten Wochen und Monaten hat sich mein Pferd Gaston an solchen Wind-Tagen so gelassen gezeigt, dass ich mir an diesem Tag keine Sorgen über ruckartige oder unkontrollierte Reaktionen meines besten Kumpels machte.

Ich begrüßte ihn auf dem Paddock, ließ ihn ins Halfter schlüpfen und trottete mit ihm zum Putzplatz. Ganz relaxt ließ er sich bürsten und nahm entspannt sein Umfeld wahr. Als ich fertig geputzt hatte, bot ich ihm an, auf eine Wiese hinter dem Stall zum Grasen zu gehen. Kaum angekommen steckte er die Nase ins Grün. Ich hielt zu ihm an der Longe einen recht großen Abstand. Vor gut zwei Jahren hatte ich nämlich mit ihm beim Grasen  einen unschönen Unfall. Gaston erschrak sich damals vor einem Jogger, stürmte kopflos auf mich zu, rutschte aus und fiel auf mich drauf. Beinbruch! Also ich brach mir das Bein. Seitdem halte ich - wie gesagt -  gerne Abstand zu meinem recht ängstlichen, einäugigen Wallach.

 

Er rannte direkt auf mich zu

20 Minuten vergingen an diesem Sonntag auf der Wiese. Gaston mümmelte genüsslich die Halme, während ich mich entspannt mit einer Stallkollegin unterhielt. Eine weitere Kollegin kam mit ihrer Stute dazu. Gaston hörte und sah sie nicht und preschte in Panik nach vorn. Direkt auf mich zu. Dieses Verhalten hatte er nach unserem Unfall schon sehr lange nicht mehr gezeigt. Normalerweise hatte er sich seitdem einen Fluchtweg von mir weg gesucht. Heute war das anders. Er rutschte wieder aus und ich sah vor meinem inneren Auge, dass er erneut auf mir landete. Zum Glück passierte das nicht. Aber ich war sehr irritiert und auch leicht angesäuert, dass er den Abstand zu mir nicht einhielt. Wäre ich ein ranghohes Pferd, wäre Gaston in keinem Fall auf mich losgestürmt.  

Ich ließ ihn noch ein paar Minuten grasen und brachte ihn in die Box. Ich atmete tief durch und dachte mir: "Naja komm, kann passieren. Er ist und bleibt ein Fluchttier, bei dem es dann doch nur darum geht, sich vor einer möglichen Gefahr zu retten." Also Cooldown. Auf unserem Tagesplan stand heute nachmittag noch Reiten. Wir waren mit Denise und ihrer Stute Sherley verabredet. Gaston mag es sehr, wenn Sherley mit in der Halle ist, das entspannt ihn und gibt ihm ein gutes Gefühl. Mein Kleiner schien auch wirklich Lust aufs Reiten zu haben, er schlüpfte nämlich fast ein bisschen ungeduldig in die Trense.

 

Ein besonderes Erlebnis in der Halle

 

Ab in die Halle, Aufsitzen, Warmreiten. Gaston ging seine Runden wirklich entspannt im Schritt und Trab. Er trat ganz rund an den Zügel ran und ich spürte, dass er Spaß daran hatte, mitzuarbeiten. Eine weitere Stallkollegin kam in die Halle und fragte, ob sie ein paar Geitner-Gassen in die Halle legen könne. Sie käme gleich mit ihrem Pferd rein. Gar kein Problem, fanden Denise und ich. Sie öffnete langsam eine große Tür in der Halle, hinter der die gelb-blauen Gassen lagen. Mein Pferd bekam einen Riesenschrecken! Mitten im Leichtraben, machte er eine 180 Grad Drehung und schoss wie ein Wilder in die andere Richtung. Die 180 Grad Drehung habe ich auf "Halbacht-Stellung" gerade noch sitzen können, aber das Losschießen hebelte mich gnadenlos aus dem Sattel. Rumms lag ich im Sand - wie ein Käfer auf dem Rücken.

Ich stand auf, klopfte den Sand von den Klamotten und ging zu meinem Pferd. Gaston guckte nicht einmal zu mir. Ich nahm den Zügel und führte ihn im Schritt zum Schreckgespenst Geitner-Gassen! Er pustete die Dinger kurz an und dann war auch gut.
Ich allerdings war richtig sauer. Diese 180 Grad Drehung und vor allem das Davonpreschen hatte er seit langem nicht mehr gezeigt. Ich saß an diesem Nachmittag wie in den letzten Wochen mit so einem guten Gefühl im Sattel. Einem Gefühl, dass wir uns beide zu 100 Prozent vertrauen können. Und dann das!

Ich habe mein Pferd nicht gestraft, aber auch nicht gelobt. Ich bin weitestgehend emotionslos wiederaufgestiegen, angetrabt und angaloppiert und habe die Stunde mit einem leisen und recht halbherzig Tätscheln auf seinem Hals beendet.

Mit Schmerzen im Rücken und Nacken fuhr ich nach Hause. Abends dachte ich über das Erlebte nach. Wie ihr das sicherlich auch kennt, sucht man erstmal den Fehler bei sich. Das tat ich auch: "Hast du was übersehen, was seine Stimmung angeht? War es heute vielleicht doch zu windig? Kannst du deinem Gefühl eigentlich noch trauen? Wäre es besser gewesen, nach dem Grasen das Pferd einfach in die Box zu stellen? Warum konnte ich ihm nicht genug Sicherheit geben? ..."
Ich hatte eine kurze Nacht.

Man denkt ja immer, wenn man eine Nacht über etwas schläft, ist es am nächsten Morgen etwas besser. War es aber nicht! Ganz im Gegenteil. Ich hatte nach dem Aufwachen ganz schön schlechte Laune. So schlecht, dass ich entschied. an diesem Tag nicht zu Gaston zu fahren. Ich war einfach enttäuscht. Darüber, dass er nicht auf mich geachtet hat, dass es ihm egal war, ob ich von ihm übergerannt werde oder nicht. Er hatte noch nicht einmal geguckt, als ich wie eine umgedrehte Krabbe im Sand lag. Mit dieser Stimmung wollte ich ihn einfach nicht konfrontieren und ehrlich gesagt auch nicht sehen. Das hat es vorher noch nie zwischen uns beiden gegeben.

Ein weiterer Tag verging. Ich fuhr am Dienstag nach der Arbeit abends in den Stall. Wollte dann doch mal nach ihm schauen. Ich sprach ihn freundlich an, steckte ihm ein Leckerchen zu. Kaum hatte er das aufgefressen, drehte er sich in der Box um und präsentierte mir seinen Hintern. "Oha", dachte ich, "entweder spiegelt mein Pferd mich gerade oder der kleine Mann ist von mir auch nicht so angetan."
Ich berührte ihn, guckte, ob nach dem Paddockgang vom Tage alles okay ist, kratzte die Hufe aus und machte ihm sein Futter. Das nahm er auch gerne an, suchte aber keinen weiteren Kontakt zu mir. Das tat mir tatsächlich ein bisschen weh. Aber andererseits war ich wohl auch nicht ganz auf liebevolle Berührungen aus.

Mittwoch verlief ähnlich. Die Besitzerin unseres Boxennachbarn fragte nach: "Was ist bei euch beiden los? Habt ihr Ehestreit?" Ich nickte, "ehrlich gesagt ja, das ist unser erster Streit und es fühlt sich irgendwie ganz schön komisch an!" Gaston zeigte mir aber auch ganz klar, dass er an meiner Gesellschaft wenig Interesse hat. "Vielleicht schämt er sich ja auch für Sonntag", meinte unsere Nachbarin. Ja, vielleicht. Aber vielleicht müssen wir das Geschehene einfach auch nur verdauen. Gemeinsam oder jeder für sich.

Am Donnerstag hatte ich meine schlechte Laune endgültig ad acta gelegt. Ich kam guten Mutes in den Stall und dachte, wenn er mich in den letzten Tagen wirklich nur gespiegelt hat, dann müsste er ja heute besser auf mich zu sprechen sein. War aber erstmal nicht so. Gaston präsentierte mir nach dem Begrüßungsleckerlie weiterhin seinen Hintern. Okay, dann brauchen wir wohl noch mehr Zeit. Ich redete mit ihm, sagte freundliche Worte, putzte ihn ein bisschen in der Box und streichelte ihn vorsichtig, während er unbeeindruckt sein Heu kaute. Ich ging zur Boxentür, holte sein Halfter und sagte: "Gaston, wir können jetzt so weiter machen wie in den letzten Tagen oder wir ändern etwas. Ich würde mich freuen, wenn wir uns heute vielleicht mal wieder zusammen bewegen. Also wenn du auch dazu Lust hättest, hier ist das Halfter zum Reinschlüpfen." Er drehte sich kurz mit dem Kopf um und senkte ihn wieder ins Heu. "Bist du sicher, dass du nichts machen möchtest? Also ich würde mich anbieten..." Gaston drehte sich erneut zu mir um und streckte sich ins Halfter. Wir gingen gemeinsam aus der Box.

In der Halle hakte ich die Longe ein und lud ihn zu gemütlichen Runden im Schritt ein. Dann etwas Trab und Galopp. Gaston ging an diesem Abend wie am Schnürchen. Ich brauchte nicht viel treiben, er machte sich ganz rund am Band und zeigte wunderschöne Bewegungen. Ich war glücklich und lobte ihn in den nettesten und liebevollsten Tönen. Versöhnung!? Auf ganzer Linie! Ab dem Tag war unser Umgang miteinander wieder wie immer.

Diese beschriebenen Tage beschäftigen mich bis heute. Und ich muss sagen, es hat uns, glaube ich, ganz gut getan, ehrlich mit unseren Gefühlen umgegangen zu sein. Wir haben den anderen sein lassen, wie er ist, ohne den anderen mit Schuld zu beladen (also vor allem habe ich das nicht gemacht). Wir waren sicherlich beide ein bisschen enttäuscht voneinander, haben uns aber Zeit gegeben, das Erlebte zu verarbeiten. Genau so muss es vielleicht in einer guten Beziehung oder Freundschaft auch laufen.

 

Der Ehe-Streit aus Sicht des Pferdes
 
"Sonntag war es sooo windig, ich hab ganz viel und auch wieder gar nichts gehört. Die Gerüche um mich herum konnte ich gar nicht so richtig zuordnen. Am liebsten wäre ich in der Box geblieben, aber ich hatte so Lust auf frisches Gras. Also hab ich meine Angst überwunden und bin mit Silvia auf die Wiese gegangen. Kaum bin ich da angekommen, musste mich diese blonde Stute erschrecken. Hätte die nicht vorher mal wiehern können!? Und warum steht Silvia eigentlich immer mitten im Fluchtweg! Oh Mann, nicht so viel quatschen, sondern mal gucken und aufpassen, was um einen herum passiert!
Nach diesem Schreck ging´s dann noch in die Halle zum Reiten. Okay, Lust auf Bewegung hatte ich ja schon. Und die Dressurlektionen der letzten Tage hatten auch echt gerockt. Aber was kommt da während der Arbeit auch diese komische Frau rein und erschrickt mich mit diesen blau-gelben Dingern! Ich dachte, die Dinger fliegen auf mich zu und packen mich! Rette sich wer kann, sage ich nur! Ups, das Gewicht da oben im Sattel war aber auch nicht wirklich aerodynamisch. Warum hat sie sich auch nicht im Sattel festgehalten! Ah cool, das Gewicht war plötzlich runter und ich konnte loslaufen! Hey sorry Silvia, ich wollte eigentlich unser Leben retten! Aber mein Tempo konntest du wohl nicht halten. Tut mir leid! Nicht sauer sein! Oh männo!"

Meine Gedanken in den darauffolgenden Tagen bei Ankunft von Silvia: "Na, du hast ja 'ne super Laune! Wenn die nicht gleich besser wird, müssen wir schon mal gar nicht einen auf Schönwetter machen. Bin ich es etwa nicht wert, mich mit einem Lächeln, ganz vielen Leckerlis und Streicheleinheiten zu begrüßen? Nein?! Dann kannst du auch direkt wieder gehen. Überleg dir mal, ob DU nicht lieber mal was ändern möchtest. Kann ich doch nichts dazu, dass du so nachtragend bist..."

Am Donnerstag dann: "Okay, können wir uns bitte wieder vertragen und uns so gut verstehen wie sonst? Komm schon! Ich zeig dir auch, warum ich eigentlich so liebenswert bin und wie viel Spaß wir zusammen haben können. :-)"

 

Schlusswort

Ich habe lange überlegt, ob ich diesen Text veröffentlichen soll oder nicht. Immerhin ist es eher ein Tabuthema, einen "Ehe-Streit" mit einem Pferd zu haben. Ein Thema, mit dem man schnell mal anecken kann. Aber Unstimmigkeiten kommen vor und dafür sollte man sich nicht verurteilen. Ich denke, es ist wichtig, dass man in solchen Situationen immer fair zum Pferd bleibt und es nicht straft. Dafür hat mein sein Hotti ja auch viel zu lieb.

 

Vielleicht habt ihr ähnliche Erfahrungen mit euren Pferden gemacht. Berichtet mir gerne darüber. Ich bin gespannt, wie eure Versöhnung ausgesehen hat.