Zu zweit ist man weniger allein

Manchmal braucht es Zeit, dass Pferde Freundschaften schließen.
Manchmal braucht es Zeit, dass Pferde Freundschaften schließen.

Ich dachte, ich traue meinen Augen nicht, als ich vom Stall in Richtung Paddock ging... zwei Pferde, die sich lange Zeit vollends ablehnten, gaben sich plötzlich und ganz selbstverständlich der gegenseitigen Fellpflege hin. Ich fiel vom Glauben ab, was da gerade passierte...aber von vorn.

Hensel und mein Pferd Gaston hatten sich schon vor ein paar Jahren kennengelernt. Sie standen damals gemeinsam in der großen Wallach-Herde auf der Weide unseres Stalls. Sie waren keine Freunde, hatten aber ein soweit neutrales Verhältnis zueinander. Hensel musste eines Tages aus gesundheitlichen Gründen den Stall verlassen. Als er dann wiederkam, wurden ich und mein Pferd vor eine große Herausforderung gestellt.

Es verging mehr als ein Jahr, bis Hensel wieder zurückkam. Es ging ihm zum Glück schon viel besser. Doch irgendwie war er anders - nicht im Umgang mit Menschen, da war er wie immer sehr offen und liebevoll. Aber der Umgang mit seinen Artgenossen war etwas verändert. So einige Pferde fand er anstrengend und störend. Das zeigte er auch. Nähe zuzulassen, fiel ihm schwer. Das sollte auch mein Pferd zu spüren bekommen.

 

Hensel war nach seiner Rückkehr gesundheitlich noch etwas eingeschränkt, so dass er aus Vorsichtsmaßnahmen erstmal nicht wieder in die Herde durfte. Somit musste er zunächst allein auf dem Paddock stehen. Getrennt von den anderen, aber mit Blick auf die Herde. Eine Übergangslösung. Hensels Besitzerin Sabine wünschte sich für ihr Pferd einen Paddock-Partner, einen Kumpel. Ein ruhiges Pferd, das ihn nicht schickt oder angeht. Ein Pferd, das auch in der Weidesaison auf dem Paddock stehen kann bzw. muss. Die Wahl fiel auf Gaston: entspannt, gelassen, fair und als stoffwechselerkranktes Cushing-Pferd limitiert in der Gras-Zufuhr.

 

Ich kann dich nicht leiden!

Ich gebe zu, ich war von der Idee zunächst mäßig begeistert, Hensel und Gaston zusammen zu stellen. Ich hatte einen gewissen Respekt vor Hensels schlechter Laune gegenüber einigen Pferden. Ich hatte Angst, dass er mein Pferd überfordern oder gar verletzen könnte. Doch ich war bereit, es mal auszuprobieren. Immerhin war es eine Chance für beide Pferde, tagsüber nicht allein auf dem Paddock stehen zu müssen.

 

Erster Versuch: Sabine und ich stellten unsere beiden Pferde auf ein größeres Paddock und beobachten, wie die beiden miteinander umgingen. Hensel fand - wie zu erwarten - Gaston völlig überflüssig auf diesem eingezäunten Platz. Das zeigte er ihm unmissverständlich: Er legte die Ohren an und schaute grimmig in Gastons Richtung. Gaston stand in der Ecke. Angespannt, etwas ängstlich und vor allem ganz schön eingeschüchtert. Gaston traute sich kaum einen Huf zu bewegen. Doch das musste er - Hensel kam nämlich in seine Richtung, machte seinen Hals lang wie eine Pfeilspitze und steuerte mit ganz eng angelegten Ohren auf Gastons Schulter zu: "Weg da! Ich kann dich nicht leiden!" Gaston wich aus. Hensel nahm seinen Platz ein und blieb stehen. Dann ein erneuter Versuch, Gaston vom Paddock zu bewegen: Diesmal nahm Hensel allerdings Anlauf. Ich hielt den Atem an. Jetzt bitte kein Auskeilen!
Doch Hensel täuschte nur an, beeindruckte zwar mit großem Anlauf, aber nicht mit gefletschten Zähnen oder fliegenden Hufen.

Das fand ich beruhigend. Sabine und ich beobachten das Wegschick-Spiel von Hensel noch einige Minuten, bis wir den Zusammenführungsversuch abbrachen.

 

Ich finde dich immer noch richtig doof!

 

Weitere Versuche: Wir probierten es etwa acht Mal, Hensel und Gaston aneinander zu gewöhnen. Die gewisse Feindseligkeit im Ausdruck von Hensel wurde von Versuch zu Versuch zwar weniger, aber eines war trotzdem klar zu sehen: Gute Freunde sollten die beiden in ihrem Leben nicht mehr werden! Hensel hatte schlechte Laune, sobald Gaston auf "seinem" Paddock stand. Er legte die Ohren an, rümpfte die Nüstern, versuchte Gaston vom Platz zu schicken - im Schritt, Trab oder auch mal mit einem kräftigen Satz im Galopp. Gaston zeigte wider Erwarten immer mehr Gelassenheit. Er ließ sich zwar von Hensel bewegen, wich aber immer langsamer aus. Er merkte, dass kein Angriff bösartig war. Er wurde niemals getreten oder gebissen. Das bemerkten auch Sabine und ich. So entschieden wir, die beiden nachmittags für ein paar Stunden zusammen zu stellen - unbeaufsichtigt.

Zur Sicherheit kontrollierte ich jeden Abend Gaston nach möglichen Verletzungen. Es gab aber keine. Puh! Hensel war also weiterhin nicht unfair geworden. Das freute mich sehr.

 

Vielleicht mag ich dich doch ein bisschen

 

Es dauerte mehrere Wochen als Sabine und ich tagsüber beobachteten, dass unsere Pferde nicht mehr in zwei verschiedenen Ecken standen, sondern nebeneinander. Es gab zwar noch einen gewissen Abstand zwischen den beiden, aber dieser wurde immer kleiner. Hensels Schicken hatte deutlich nachgelassen. Weitere Wochen vergingen. Hier und da sahen wir, wie Hensel Andeutungen machte, Gastons Hals und Widerrist berühren zu wollen - zum Fellkraulen. Doch sobald Hensel den Kopf hob, wich Gaston aus. Möglicherweise aus der Unsicherheit heraus, dass Hensel gleich wieder einen Versuch zum Schicken starten könnte, vielleicht aber auch aus dem Frust heraus, so oft geschickt worden zu sein. Nach dem Motto: "Die ganze Zeit scheuchst du mich herum und jetzt willst du von mir gekrault werden: Das kannst du vergessen."

 

Jetzt komm schon!

 

Vier Monate waren bereits vergangen, als ich von der Stallgasse aus auf dem Paddock eine ungewohnte Szene beobachten konnte: Hensel leckte an Gastons Sprungggelenk. Ganz sanft und liebevoll. Gaston ließ es zu. Allerdings nur kurz. Dann bewegte er sich wieder ein paar Schritte von Hensel weg. Das wiederholte sich einige Male. Ich war irritiert und ging aufs Paddock. Hatte sich Gaston etwa verletzt? Tatsächlich hatte mein Pferd eine kleine offene Stelle am Sprunggelenk. Hensel hatte sie sauber geleckt. Was für eine interessante Geste. Ich desinfizierte die Stelle, nahm Gaston die Fliegendecke ab, kontrollierte kurz den Rest seines Körpers und ging wieder vom Sandplatz. Alles war gut. Und es wurde noch besser.

 

Keine fünf Minuten später kehrte ich nochmal zurück zu den beiden und hielt die Luft an. Ich war tiefst berührt von dem Bild, was ich sah: Beide Pferde dockten zum Fellkraulen an! Völlig selbstverständlich, absolut freundschaftlich und auf Augenhöhe. Ich machte ein Foto davon, drehte ein Video, schickte es Sabine. Die beiden ließen sich davon nicht stören. Sie knabberten und kraulten, verdrehten die Augen und genossen ihren gemeinsamen Moment...

 

Manchmal braucht es etwas Zeit

 

Ich habe länger darüber nachgedacht, was passiert war. In meiner ganz romantischen Vorstellung hat sich Hensel um Gastons Wunde gekümmert und hat damit den Knoten zum Platzen gebracht. Pferdemädchen-Logik.
Aus dem pferdischen Aspekt heraus, machte es für beide Pferde Sinn, sich in ihrer kleinen Herde auf dem Paddock zu arrangieren: zu zweit ist man stärker, geschützer und vor allem nicht allein. Fellkraulen funktioniert mit Partner eben auch viel besser.

 

Mir hat dieses Erlebte gezeigt, dass es helfen kann, Pferden etwas Zeit zu geben, sich als Herde zu finden. Ich weiß, manche Pferdekonstellationen passen so wenig zusammen, dass schwere Verletzungen drohen. Doch manchmal ist es gut, genauer hinzusehen. Man sollte Pferde nicht vorschnell voneinander trennen, nur aus der Angst heraus, dass dem eigenen Pferd etwas passieren könnte. Pferde sind soziale Wesen. Sie brauchen den Kontakt, die Berührung und die Nähe zu ihren Artgenossen. Geben wir ihnen die Chance, sich diese Grundbedürfnisse zu erfüllen.